„Dido und Aeneas“, eine Oper von Henry Purcell – zeitlos und zugleich aktuell

Das dramatisch-lebendige Meisterwerk der Barockmusik wird in einer außergewöhnlichen Umsetzung unter der Leitung des Kantors Álvaro Tinjacá-Bedoya zur Aufführung kommen.


Worum geht es?

Die Oper beruht auf dem berühmten Epos „Aeneis“ des römischen Dichters Vergil (70 – 19 v.Chr.). Es handelt sich um eine Liebesgeschichte zwischen Dido, der Königin von Karthago und Aeneas, dem trojanischen Prinzen, der nach einem Sturm während seiner langen Irrfahrten gastlich in Karthago aufgenommen wird. Aeneas, der in den Flammen seines Hauses die Gattin verloren hat, verließ Troja fluchtartig und erhielt den göttlichen Auftrag, eine neue Stadt, das spätere Rom, zu gründen. Dido, eine phönizische Prinzessin, floh vor ihrem Bruder, der aus Habgier ihren geliebten Mann getötet hatte. Sie gründete Karthago und wurde Königin. Dido hatte geschworen ihrem ermordeten Gatten treu zu bleiben. Dido und Aeneas verlieben sich. Daraufhin kommen die Götter ins Spiel und erinnern Aeneas an seinen Lebensauftrag. Nach anfänglichem Zögern verlässt er Karthago und treibt die unglückliche Dido in den Selbstmord. Soweit zur tragischen Geschichte bei Vergil.

Was geschieht in der Oper von Henry Purcell?

Sie wurde etwa 1689 in London uraufgeführt. Man weiß nicht viel über die künstlerischen Motive des Komponisten und die seines Librettisten. Daher gibt es Raum für Interpretationen. Gesichert ist, dass Purcell das Publikum in eine bewegende, tragische Liebesgeschichte, die am Ende zerbricht, musikalisch einbinden möchte – ein Genre, das seit ewigen Zeiten die Herzen aller Menschen erobert und damit stets aktuell ist.

Was unterscheidet die Oper von der mythischen Vorlage?

Die Götter werden durch Hexen ersetzt. Laut Libretto schmieden sie ein Komplott, um beide Protagonisten und damit auch Karthago zu zerstören. Sie erinnern Aeneas an seine Pflicht eine Stadt in Italien zu gründen. Hexen und Zauberwesen, die sich in die Geschicke der Menschen einmischen, waren zu Lebzeiten Purcells auf der Theaterbühne Mode.

Dido begeht am Ende keinen Selbstmord. Sie stirbt vor Kummer, als sie erkennt, dass sie die Mächte des Schicksals nicht überwinden kann.

Was ist das Verbindende zwischen Vergil und Purcell?

Dido, Opfer eines grausamen Macht- und Familienkonfliktes, flüchtet aus dem heutigen Libanon mehr als zweitausend Kilometer westwärts, gründet Karthago und wird von ihrem Volk hoch verehrt. Als eine kluge, selbstbewusste Frau sieht sie ihre Lebensaufgabe darin, ihr Volk zu stärken und zu Wohlstand zu führen. Sie ist jedoch innerlich zerrissen vor Trauer und Wut über den Heimat- und Familienverlust.

Aeneas ist ebenfalls ein Flüchtling. Auch er leidet unter dem Verlust seiner Familie und Heimat und unter den schrecklichen Geschehnissen während des Trojanischen Krieges. Beide haben einen Lebensauftrag, eine Verpflichtung. Sie sind in ihren Gefühlen hin- und hergerissen zwischen der Liebe füreinander und der Pflicht ihre Aufgabe in der Gesellschaft zu erfüllen und müssen sich für das eine oder das andere entscheiden.

Was macht die Oper so interessant heute, was berührt das Publikum?

Ins Auge springt der menschliche Verlust von Heimat, das Auf-der-Flucht-Sein und die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit. Diesen Gefühlen verleiht Purcell in seiner gewaltigen Musik Ausdruck und berührt die Zuhörenden angesichts des gegenwärtigen Flüchtlingsthemas zutiefst. Darüber hinaus geht es um Gefühle, die jede und jeder kennt, nämlich die fast panische Angst einen geliebten Menschen zu verlieren, sei es durch Tod, durch Entfremdung, durch Trennung. Henry Purcell thematisiert musikalisch in seiner Geschichte zeitlose Aspekte wie Liebe, Leidenschaft, Verlangen, Schmerz, Verlust. Nicht zuletzt geht es um die bittere Erkenntnis, dass man eine Sache für eine andere opfern muss, hier nämlich die zielorientierte Erfüllung hoher gesellschaftlicher Aufgaben, die mit einem gemeinsamen Leben an einem Wohnort unvereinbar zu sein scheint. Interessant ist darüber hinaus die Rolle der Belinda, der Vert rauten von Dido, die diese in allen Lebensphasen bis zum Zusammenbruch begleitet.

Was bedeutet Purcells Oper für das Willicher MusikProjekt, wer sind die Darstellenden?

In „Dido und Aeneas“ spielt der Chorgesang eine bedeutende Rolle und ist daher für das „Willicher MusikProjekt“ ein interessantes Format. Hier kommen die Chorsängerinnen und -sänger oft zum Zuge und präsentieren sich in aussagekräftigen, tragenden Rollen. Álvaro Tinjacá-Bedoya ist es gelungen für die berührende Rolle der Dido Pavla Flámová, eine Sopranistin, die blind ist und für ihre große musikalische Sensibilität bekannt ist, zu gewinnen.

Jimmy Herrera, ein Tenor mit Autismus-Spektrum-Störung, wird mit seiner ausdrucksstarken, kraftvollen Stimme die Rolle des Aeneas singen.

Die Rollen der Belinda, der Zauberin und der Hexen werden von Studierenden der Folkwang Hochschule Essen gesungen.

Neben der imposanten Chormusik und den kraft- und gefühlvollen Arien gab Purcell dem Tanz viel Raum. So gibt es für diese Oper eigens komponierte Tänze, die bei der Uraufführung 1689 von Josua Priest, einem Tänzer und Choreografen performt wurden. Was liegt daher näher, als dass diese Aufführung im September auch tänzerisch dargestellt wird? Suna Göncü, eine erfahrene Tänzerin und Choreografin, wird mit einem Ensemble bestehend aus Menschen 60plus bedeutsame Aspekte, die in der Musik zum Ausdruck kommen und altersunabhängig und interkulturell sind, in Tanz und Bewegung umsetzen.

Für die musikalische Begleitung ist das bekannte „Cölner Barockorchester“ engagiert worden, das sich selbst als ein Ensemble mit Botschaft bezeichnet.

Das Projekt wird gefördert vom Landesmusikrat, von der Sparkasse Krefeld, von privaten Spender:innen und vom Förderverein Willicher MusikProjekt e.V.

Elke Hartfiel, Vorsitzende des Fördervereins Willicher MusikProjekt e.V.